Freitag, 18. November 2016

Winterglücksmomente von Karen Swan

Klappentext:

Weihnachtszeit in London: Funkelnde Lichter, tanzende Schneeflocken und köstliche Düfte – für viele ist es die schönste Zeit des Jahres. Für Nettie Watson aber ist es die schmerzliche Erinnerung an das glückliche Leben, das sie einmal hatte. Ablenkung verspricht ihr Job bei einer Charity-Veranstaltung. Doch der Abend endet peinlich: Mit einer Panne zieht Nettie alle Blicke auf sich und landet sogar im Internet. Und plötzlich steht ihr Leben kopf – selbst der Popstar Jamie Westlake wird auf sie aufmerksam. Nettie blockt jede Annäherung ab, zu groß ist ihre Angst vor Nähe – doch sie hat ihre Rechnung ohne die Liebe gemacht.



Kein Jahr ohne Karen Swans Weihnachtsbücher! 

Und mein erstes Buch von ihr als Rezensionsexemplar. Aber schon auf den ersten Seiten bereute ich es fast, ich fühlte mich steinalt. Als Teenager war jeder Sonntagnachmittag, den man zuhause vor dem Radio verbrachte und die Hitparadensongs auf Kassette aufnahm, ein Highlight. Im Job erlebte ich hautnah die Umstellung von LPs auf CDs mit. In meinen 20ern machte man ein Treffen entweder direkt ab, wenn man einander sah oder rief per Festnetztelefon an. Einladungen kamen per Briefpost und nicht per SMS. Und dann schlage ich diesen Roman auf und mich erschlägt es fast mit Modernität - man twittert, mailt, schreibt SMS. Sachen wie Ice Bucket Challenge, Owling, Planking und mehr sind die neuen Highlights und wenn man nicht täglich twittert, instagramt oder pinterestet, ist man niemand. CSR und Meme. Bitte, liefert doch gleich ein Wörterbuch mit.

Ich war also ziemlich entsetzt, als ich von dem #BlueBunnyGirl las, dem blauen Riesenkaninchen, das eine Eisbahn runterschlitterte - und wähnte mich während den ersten Seiten in einem Jugendroman. Das Filmchen der unabsichtlichen Schlitterpartie landet bei Twitter und "bäm" gehts los: Von ihrer Freundin Jules lässt die 26jährige Nettie, die im Kostüm des Kaninchens steckt, sich breitschlagen, jeden Tag bis Weihnachen etwas Verrücktes zu tun; nur damit sie Popstar Jamie als Follower nicht verliert. Und auch ihren Job nicht. 

So starten sie eine 12-Tage-bis-Weihnachten-Challenge und Nettie wird zum Blue Bunny Girl. In kürzester Zeit ist alles viral: die mobile Obsession der heutigen Zeit. Zwei junge Frauen, viel Social Media - was macht man nicht alles um die Hashtag-Liste anzuführen!

Ja, auch ich nutze Facebook, bin seit einem halben Jahr bei Twitter und blogge sogar. Doch was soll diese Social Media-Besessenheit und das Kämpfen um möglichst viele Follower in einem Weihnachtsroman? Das wollte für mich nicht richtig passen und ich ärgerte mich von Seite zu Seite mehr. Ich war wirklich haarscharf dran aufzuhören, doch dann lernte Nettie Jamie kennen. Und plötzlich machte alles Sinn. 

Langsam, aber stetig und ganz leise und fein veränderte sich meine Wut von Zeile zu Zeile in Neugier und Wohlwollen: Sarah Morgan hat mich kalt erwischt. 

Wunderbar schreibt sie von der scheuen Nettie, die ich zwar manchmal immer noch überempfindlich und grundlos verschlossen empfand, aber der bodenständige, sich kümmernde Jamie wog das auf. Natürlich kam es zu den üblichen Krisen, aber trotzdem entwickelte die Autorin diesen Roman grossartig. 

Nettie bewahrt nämlich ein Geheimnis, und die Autorin wirft jeweils nur kleine Brosamen hin - ja mein Gott, Nettie hätte sicherlich darüber reden können, und ja, es nervte mich, dass sie es nicht tat, aber die kleinen Einschübe/Hilfen kommen zur rechten Zeit. Und endlich nahmen die diversen Challenges nicht mehr so viel Platz ein. 

So entsetzt ich am Anfang war, so begeistert bin ich am Schluss. Auch wenn ich bis zum Ende die vielen Challenges und Internet-Fremdwörter mit ihren neumodischen englischen Namen doof und too much fand, die Liebesgeschichte wie auch Netties Geheimnis haben mein Herz berührt und ich konnte kaum mehr aufhören zu lesen. Nachts um 2:00 Uhr legte ich schweren Herzens und vernünftigerweise das Buch zur Seite, nur um tags darauf bei der erstbesten Möglichkeit die letzten Seiten in Angriff zu nehmen. Keine Musik als Begleitung, kein Kaffe oder Tee dazu, keine Doppelkekse wie sie in Netties und Jules Büro rumliegen und keinerlei Ablenkung, ich wollte nur noch zu Ende lesen. Erst als ich es ausgelesen hatte, eine Runde geseufzt, da machte ich es wie im Buch und gönnte mir eine Tasse Tee. 

Von Karen Swan wünschte ich mir schon lange, dass sie endlich mal ohne Luxusweibchen als Protagonisten auskommt und normale Figuren erschafft. Mit "Winterglücksmomente" ist ihr das gelungen. Die Autorin nimmt sogar Themen auf, die alles andere als chic sind und über die kaum gesprochen und geschrieben wird. Leider wird dies alles erst gegen Mitte des Romans oder noch später offensichtlich. Auch wenn ich mir gut vorstellen kann, dass einige Leser wie ich versucht sind, das Buch bereits im ersten Viertel abzubrechen, bleibt dran, es lohnt sich! 

Karen Swan ist es gelungen, einen witzigen, teilweise überspitzten, dennoch leisen Roman abzuliefern, der mit zwei tiefgründigen Themen (die ich hier nicht nennen möchte, um nicht zu viel vorwegzunehmen) versehen ist, die es Wert sind, gelesen zu werden - absolut passend zur Weihnachtszeit.

Fazit: Ein Angsthase im Hasenkostüm erobert zuerst Jamies und viel später auch mein Herz. Alles wird gut, mit einer Tasse Tee sowieso. Lasst euch begeistern von "Christmas on Primrose Hill"!
4.5 Punkte. 

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